19.06.2024

Theater ohne Textbuch

Im improvisierten Theaterstück geht es um eine Schulklasse, die sich im Mittelalter wiederfindet und zusammenarbeiten muss, um in die Gegenwart zurück zu kommen.
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Im improvisierten Theaterstück geht es um eine Schulklasse, die sich im Mittelalter wiederfindet und zusammenarbeiten muss, um in die Gegenwart zurück zu kommen.

Normalerweise lernen Schauspieler ihre Texte auswendig, aber nicht am Königsbacher Gymnasium: Die Mitglieder der Theater-AG entwickeln ihr Spiel spontan auf der Bühne.

Die Verwunderung ist groß, als den Schülern auffällt, dass sie sich nicht mehr im Museum befinden, sondern im Mittelalter: bei Gauklern, Rittern und Königen. Doch dort wollen sie nicht bleiben. Sie wollen zurück in die Gegenwart, in ihr gewohntes Leben. Um das zu schaffen, müssen in der vollkommen zerstrittenen Schulklasse alle über ihren Schatten springen und etwas tun, das ihnen bisher zuwider war: miteinander sprechen und zusammenarbeiten. Die Bedeutung einer intakten Gemeinschaft, das Schaffen funktionierender Kommunikationsstrukturen und der Wert jedes einzelnen Menschen standen im Mittelpunkt des Stücks, das die Unterstufen-Theater-Arbeitsgemeinschaft vor kurzem am Königsbacher Lise-Meitner-Gymnasium präsentiert hat. Es war ein Stück, das es in dieser Form sicher kein zweites Mal zu sehen geben wird. Denn vor der Aufführung haben die rund 30 mitwirkenden Schüler zwar intensiv geprobt, aber keine vorgegebenen Texte auswendig gelernt: Sämtliche Dialoge entstanden spontan auf der Bühne, aus der Situation heraus improvisiert. „Wir wussten vorher nicht, wie sich das Stück entwickeln wird“, sagt Lehrerin Andrea Bodmann, die die Theater-AG leitet und begeistert ist von der Leistung und der Kreativität ihrer Schüler: „Es ging immer weiter, von den Kindern kamen immer neue Impulse.“ Die Idee zu der außergewöhnlichen Theateraufführung hatte die Lehrerin, als die aus Fünft-, Sechst- und Siebtklässlern bestehende Gruppe im Oktober zu Beginn der Probenarbeit einige Szenen improvisiert hat. Normalerweise hätte Bodmann daraus ein Stück geschrieben.

Doch dieses Mal entschied sie sich bewusst dagegen, weil das Spiel der Schüler so natürlich und authentisch war, weil sie genau das sagten, was sie im Alltag auch sagen würden. „Besser hätte ich das Stück gar nicht schreiben können“, erzählt Bodmann, die allerdings nicht alles dem Zufall überließ: Jeder Schüler suchte sich eine Rolle mit Charaktereigenschaften aus, die festgelegt waren und in der Improvisation nicht verändert werden durften. Damit die Handlung auf der Bühne vorankommt, wurden neben einem groben Ablauf und einer Einteilung der einzelnen Szenen auch einige Schlüsselsätze festgelegt, die an vorgegebenen Stellen sinngemäß gesagt werden mussten. Wie sie ihre Dialoge gestalten, welche Formulierungen sie wählen, konnten die Schüler dagegen frei entscheiden. Einige wollten auf Nummer sicher gehen und haben im Vorfeld zumindest für einige Stellen eigene Texte geschrieben und auswendig gelernt, andere entschieden sich für eine komplett freie Improvisation. Bei den Proben ging es Bodmann darum, den Kindern das notwendige Selbstbewusstsein für einen Auftritt vor Publikum zu geben. Dafür brachte sie ihnen die Grundlagen des Theaterspielens bei, absolvierte zahlreiche Übungen mit ihnen und achtete darauf, dass auch die zurückhaltenderen Schüler oft genug zu Wort kommen. Auch die Musik, die Beleuchtung und das minimalistisch anmutende Bühnenbild wurden festgelegt. Bei den Proben war es Bodmann wichtig, bei den Schülern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Theaterproduktion eine Gemeinschaftsleistung ist. Ihr ging es nicht so sehr um Worte und um perfekt formulierte Sätze, sondern um die Dynamik, um die Freude am künstlerischen Ausdruck. – Nico Roller